Seit Jahren streiten Branchenexperten erbittert um die Zukunft von Enterprise Content Management, kurz ECM. Gartner hat den Begriff ganz offiziell umbenannt in „Content Services“. Die Deutsche Dokumenten-Management-Ikone Dr. Ulrich Kampffmeyer spricht von "Enterprise Information Management" (EIM). Vielerorts kursiert die Vermutung, dass ECM seine besten Zeiten hinter sich hat. Wie viel ist dran an diesen Untergangsszenarien?
ECM: Dilemma eines verstaubten Rufes
Ist ECM wirklich tot – gehört die Zukunft den Content Services? Wichtig ist aus meiner Sicht vor allen Dingen eins: ECM als Akronym hat im Zuge der Digitalisierung seine Spritzigkeit verloren. Die Akzeptanz für ECM-Systeme sinkt kontinuierlich – Anwender verbinden mit dem Begriff ECM starre, altertümliche Legacy-Systeme, die in den meisten Fällen in den 1990er Jahren entwickelt worden sind. Daher wohl auch das Bemühen von Gartner um eine neue Begrifflichkeit. Was man ECM zugute halten muss: Der Grundansatz stimmt.
Ursprüngliche Idee von ECM: Daten zentralisieren
Eingeführt wurde der Begriff ECM Anfang des Jahrhunderts vom Branchenverband AIIM mit folgender Definition: „ECM umfasst Technologien zur Erfassung, Verwaltung, Speicherung, Bewahrung und Bereitstellung von Content und Dokumenten zur Unterstützung organisatorischer Prozesse”. Das zentrale Ziel: Sämtliche strukturierte und unstrukturierte Inhalte einer Organisation zu erfassen, die relevanten Informationen zu extrahieren und auf einer Plattform Anwendern zentralisiert zur Verfügung zu stellen.
Das Versprechen: Mehr Wissen, höhere Produktivität
Ein Ansatz, der aktueller nicht sein könnte. Die Erfassung wichtiger Unternehmensdaten und ihre zentralisierte Bereitstellung ist heute sogar noch wichtiger als vor knapp 20 Jahren. Auch die damit verbundenen Versprechen:
- Höhere Produktivität
- Schnellere Kommunikation
- Bessere Zusammenarbeit
- Transparenz
- Steigerung des Unternehmenswissen
haben nichts an Aktualität eingebüßt. Trotzdem ist es höchste Zeit, alte Mauern einzureißen.
Warum ECM heute zu kurz greift
Denn was sich fundamental verändert hat, seitdem AIIM am Anfang dieses Jahrhundert den Begriff ECM prägte, ist unsere Kommunikation und der damit einhergehende Fokus auf das Individuum. Zwar war das Internet bereits auf dem Vormarsch, seine revolutionäre Wirkung machte sich jedoch erst einige Jahre später bemerkbar. Das Telefon und der analoge Schriftverkehr bestimmten noch unsere Kommunikation. Heute schreiben wir am liebsten E-Mails. Wir chatten. Immer häufiger senden wir Sprachbotschaften. Von überall, zu jeder Tageszeit. Wir kommunizieren viel und schnell und erwarten Gleiches von Unternehmen, mit denen wir in Kontakt treten. Kurzum der Anspruch an Unternehmen heute: Kommunikation auf allen Kanälen, in Echtzeit, präzise und immer auf Augenhöhe mit Kunden.
Moderne Kommunikation braucht neue Lösungen
Dieser Wandel unserer Kommunikation zeigt: Der Ansatz von ECM ist richtig. Doch er greift bei weitem nicht mehr weit genug und seine technologischen Lösungen sind längst überholt. Der schnelle, genaue und lösungsorientierte Umgang mit Daten bleibt die eine Kernfrage, die es für Unternehmen zu beantworten gilt. Die andere Kernfrage lautet: Wie vernetzen sich Unternehmen mit ihren Kunden? Welche Verbindung stellen sie her zwischen ihren Anwendungen und denen ihrer Kunden?
Informationssilos abschaffen - mit Automatisierung und KI
Für die Anwender - um die geht es in erster Linie - wird sich das Problem erst lösen, wenn modernere Dienste-orientierte Lösungen mit viel Automatisierung und Künstlicher Intelligenz die alten Boliden und Informationssilos ablösen. Das gilt übrigens nicht nur für Kunden, auch Mitarbeiter haben heute andere Erwartungen: Sie erwarten ebenso schnelle Informationen, die ihnen ein flexibles Agieren ermöglichen. Dazu gehört es, von unterwegs und in Echtzeit auf Dokumente zugreifen zu können sowie mit dynamischen Workflows zu arbeiten.
Zukunft ECM: intelligente Datenmigration
Ganz zentral für die Entwicklung von ECM wird das Thema Migration sein. Überführen Unternehmen nur die vorhandenen Dokumente und Metadaten 1:1 in eine neue Lösung? Oder erschließen sie ältere Datenbestände systematisch neu durch automatische Klassifikation und Künstliche Intelligenz? Wie Unternehmen diese Fragen beantworten, wird ihre Zukunftsfähigkeit bestimmen und ihre Innovationskraft entscheidend prägen. Diese Fragen sind wichtiger, als darüber zu streiten, ob wir weiterhin von ECM oder Content Services sprechen.
Mein Fazit: Lösungen schaffen, nicht Worthülsen
Die schwerfälligen Legacy-Systeme aus den 1990er Jahren sind ein Relikt der Vergangenheit. Zwar stimmte der Ansatz: Daten zentralisieren. Doch er greift heute zu kurz: Heute brauchen wir Systeme, die unsere Prozesse automatisieren und mit Künstlicher Intelligenz arbeiten. Anders werden wir den aktuellen Anforderungen unserer modernen Kommunikation nicht Herr. Wir werden die alten Systeme bald ablösen und von einem „großen Wurf“ für die Zukunftsfähigkeit der Kernsysteme eines Unternehmens sprechen können. Wie wollen wir diese Software-Lösungen dann nennen? Eigentlich egal. Von mir aus ECM, EIM oder Content Services. Hauptsache die „Dinosaurier“ gehen und machen Platz für dynamische Software-Lösungen. ECM muss konsequent weiterentwickelt werden.