Einige haben es gewusst, viele haben es geahnt, die meisten aber waren vielleicht etwas zu naiv: Chatbots leiden unter Dialogdemenz. Sie erfüllen nicht die in sie gesetzten Erwartungen. Noch nicht, zumindest. Das Schlimme ist: sie sind meistens peinlich. Der Kundenservice-Test der Stiftung Warentest hat zutage geholt, was viele schon vermutet haben. Und das „Einhorn“ N26 aus Berlin hat sich schon blamiert. Virtuelle Kundenassistenten (Virtual Customer Assistants – zumeist als „Chatbots“ bezeichnet) sind uns bis heute den Beweis schuldig, dass sie Kunden wirklich nutzen.
Chatbots haben nicht die Flapsigkeit ihrer ersten Generation (wo die Dinger noch virtuelle Avatare hießen) ablegen können. Die Ursachen hierfür sind offensichtlich: die User Experience (UX) ist schlecht. Smarte Sprachassistenten verkaufen sich blendend. Schon jeder fünfte Haushalt besitzt ein Gerät. Das zeigt, dass wir den smarten Helfern zumindest aufgeschlossen gegenüber stehen. Das bedeutet allerdings auch, dass wir hohe Erwartungen haben. Chatbots von Firmen sollen bei der Kontaktaufnahme unsere Absichten verstehen (Intent Erkennung) und uns kompetente Hinweise und Antworten liefern.
Reichlich naiv reagieren jetzt viele Entscheider aus Kundenservice und Kundenmanagement. Einige prophezeien das „Ende der Contact Center so wie wir sie kennen“. Dabei ist es schlicht eine Frage des Anwendungsfalls und der Nutzererwartung, die bei Chatbots über Erfolg oder Desaster entscheiden. Denn je größer die „Wissens-Domäne“, umso schwieriger ist es, auf allen Feldern ausreichendes Wissen zu vereinen. Und dieses dann noch in einen kontext-sensitiven, intelligenten Dialog anzuwenden. Aus heutiger Sicht ein Unterfangen, das noch kein Anbieter überzeugend löst. Ein Chatbot kann seinen Benutzer ganz hervorragend in einem geführten Dialog bei einer Tarifberechnung unterstützen. Oder in einem spezifischem Frage-Antwort-Dialog einen Antrag mit ihm ausfüllen. Wer aber eine kompetente Auskunft zu einem vielschichtigen Themengebiet oder gar ein flüssiges Gespräch dazu erwartet, wird enttäuscht. Die Menge der Informationen ist dabei das kleinste Problem für die virtuellen Assistenten. Aber die Absicht ihres Nutzers präzise zu verstehen und sie in den richtigen Kontext des Gesprächs zu bringen – daran hapert es.
„Chatbots sind vor allen Dingen eines: dumm“ fasst Rainer Willmers, Geschäftsführer der Cosmos Service GmbH und leidenschaftlicher Kundenservice-Experte zusammen. „Sie leiden unter einer ausgewachsenen Dialog-Demenz.“ Kompetente Antworten auf die gestellten Fragen oder gar einen flüssigen Dialog dürfe man nicht erwarten. Willmers sieht dennoch eine Reihe von Gründen sich mit „Conversational AI“ auseinanderzusetzen. „Machen wir uns nichts vor: es ist nur eine Frage der Zeit, bis KI große Teile der Vorgangsbearbeitung im Kundenservice übernehmen und Service-Experten am Bildschirm unterstützen wird. Aber ich rate dazu, den Einsatz von Chatbots nur in jenen Situationen zu erwägen, in denen sie einen echten Nutzen für Kunden bieten.“ Geführte Dialoge mit einem klaren Ziel: eine Hausratversicherung berechnen, einen günstigen Flug raussuchen, Anwendungshinweise geben. Wenn Virtuelle Assistenten Nutzer dabei unterstützen, Daten zu eruieren, die sie normalerweise in ein schnödes Internet-Formular tippen würden.
Der WDR hat in einem Radiobeitrag die aktuellen Ergebnisse von Stiftung Warentest aufgegriffen. In ihm heißt es fälschlicherweise: „Chatbots basieren auf Künstlicher Intelligenz“. Allein das zeigt, dass zu viel Unwissenheit über die Funktionsweise, den Nutzen und die Chancen von Chatbots herrscht. Die meisten Chatbots nutzen eben nicht eine ausreichend trainierte Basis, um die „Intents“ ihrer Benutzer gut zu erkennen und im Kontext passend zu reagieren. Sie sind auf regulären Ausdrücken aufgebaut. Sie erkennen Schlüsselbegriffe und reagieren auf diese mit (hoffentlich) passenden vordefinierten Textobjekten. Dass diese überwiegend nicht den Kern der Frage treffen, kann jeder sich selbst denken.
Schon ziehen Nutzer den Schluss: Künstliche Intelligenz funktioniert nicht. Ein fatales Fehlurteil. Denn in unzähligen Abläufen, unterschiedlichen Anwendungen und Industrien ist KI die Technologie, die traditionelle Prozesse fundamental vereinfacht. Baufinanzierungsanträge automatisieren, Bestellprozesse in ERP-Systeme transferieren oder den Posteingang intelligent verarbeiten: Es gibt eine ganze Reihe von erfolgreichen Praxisanwendungen, in denen KI die Wissensarbeit in Service, Verwaltung und Back Office assistieren. Und sie setzt enorme Effizienzpotentiale frei. Wer die offensichtlichen Vorteile diese Kerntechnologie für den digitalen Wandel bis jetzt nicht verstanden hat, wird bitter enttäuscht werden. Spätestens dann, wenn der direkte Wettbewerb Abläufe schneller, günstiger und mit weniger Fehlern erledigt und dadurch Kostenvorteile generiert. Hoffentlich ist es dann nicht zu spät.